Hoch oben über der Donau liegt die prachtvolle Villa Neuschloss am Budapester Rosenhügel. Sie lädt ein, um in eine fast vergessene Zeit einzutauchen. Versteckt in Dokumenten, Überlieferungen, Tagebüchern und Publikationen finden sich Geschichten von gesellschaftlichen Aufstiegen, den Vorboten des Zweiten Weltkriegs, dem dramatischen 19. März 1944 sowie dem Schicksal des Hausherrn Lipót Aschner, den die braunen Machthaber ins KZ sperrten. Und von Adolf Eichmann, der nach Budapest kam, um Hunderttausende Jüdinnen und Juden ermorden zu lassen und über Monate die enteignete Villa Neuschloss bewohnte.
Der Vorlauf zum 19. März 1944 zeigt, wie die von den Nationalsozialisten geschürten Ressentiments vermehrt das politische Handeln im Deutschen Reich und in Ungarn bestimmten, wie aus Politik Gesetze und Verordnungen wurden und wie diese zu Taten führten.
Paperback
Klappenbroschur
204 Seiten, 14 x 21,6 cm
1. Auflage 2024
Erscheint: 25. November 2024
ISBN: 978-3-00-080344-4
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18,00 Euro
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Maren Schoening wurde 1965 in Hamburg geboren und wuchs in einer Familie auf, wo geflüchtete auf nazitreue und regimekritische Familienmitglieder trafen. Noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wirkten die Gegensätze fort und warfen regelmäßig neue Fragen nach Mustern und Zusammenhängen auf. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit entwickelt und leitet Maren Schoening seit vielen Jahren transnationale Dialog- und Austauschformate. In den vergangenen Jahren bildeten die Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn einen Schwerpunkt. Für ihr Engagement wurde ihr das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland sowie das Ritterkreuz des Ungarischen Verdienstordens verliehen.
Warum waren sie geblieben, auch als die Welt um sie in Flammen stand? Schon seit einigen Tagen schwirrten Gerüchte durch die Donaumetropole und nun geschah, wovor so viele Menschen Angst hatten: Am 19. März 1944 besetzte die deutsche Wehrmacht Ungarn und nahm ohne Gegenwehr die Hauptstadt ein. Bereits am frühen Morgen hatten die deutschen Einheiten Straßen, Plätze und Brücken gesichert. Unmittelbar hinter den ersten militärischen Einheiten folgten die Gestapo und der Sicherheitsdienst (SD). Auch vor der imposanten Villa Neuschloss am Budapester Rosenhügel marschierte an diesem Sonntag die Gestapo auf, um den 72-jährigen Hausherrn Lipót Aschner zu verhaften. Nicht nur er stand im Visier der Besatzer. Dutzende Menschen hatten die Nationalsozialisten vorab als unliebsame Personen ausgemacht und sie auf vorbereitete Inhaftierungslisten gesetzt. Viele von ihnen wurden in den ersten Stunden und Tagen nach dem Einmarsch verhaftet. Selbst in das Büro des Ministerpräsidenten drang die SS ein und versuchte den ehemaligen Ministerpräsidenten und Berater von Reichsverweser Miklós Horthy zu verhaften. Das Deutsche Reich war über die internen Vorgänge und handelnden Personen in Ungarn bestens informiert, hatte es doch über viele Jahre ein Netz der Geheimpolizei über Ungarn gesponnen, Agenten bezahlt und mit Personen kooperiert, die sich dem Deutschen Reich und seiner Politik verpflichtet fühlten. Am Einmarschtag notierte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels zufrieden: „Die Aktion in Ungarn verläuft ganz planmäßig. Die Regierung soll von Grund auf umgewandelt und in unserem Sinne ausgerichtet werden. Auch die von uns geplanten Festnahmen sind alle ohne Panne verlaufen: Wir haben also die hauptsächlichen Verräter dingfest gemacht.“ Der verhaftete Lipót Aschner wurde einige Tage in einem Gefängnis in Budapest gefangen gehalten und nach knapp einer Woche mit dem ersten Ungarn-Transport von Budapest in das Gefängnis Oberlanzendorf bei Wien deportiert. Neben Aschner saßen rund fünfzig Prominente, führende Politiker, Industrielle und Adlige, in diesem Gefangenenzug nach Österreich.
Dem 19. März gingen hektische Tage voraus und nur wenige ahnten oder wollten wahrhaben, welche schweren Monate ihnen bevorstanden, als Adolf Hitler den ungarischen Reichsverweser Miklós Horthy wenige Tage vor dem 19. März zu einer Besprechung in das österreichische Schloss Kleßheim bei Salzburg einbestellte. Als Horthy am 18. März in Kleßheim eintraf, machte ihm Hitler klar, dass Deutschland, nach dem Austritt Italiens aus der Kriegsallianz ein halbes Jahr zuvor, keinen Seitenwechsel der Ungarn akzeptieren werde, und warf Horthy Untätigkeit und Unwilligkeit in der Judenfrage vor. Horthy versuchte zwar den Vorwürfen zu begegnen, doch die Besetzung des Landes konnte er nicht abwenden.
Als die deutschen Einheiten am 19. März in Budapest eintrafen, befand sich Horthy noch im Zug auf der Rückfahrt von der Besprechung in Salzburg. Da die deutsche Seite die nächtliche Fahrt des Staatsoberhaupts trickreich verzögert hatte, erreichte Horthy erst am Sonntagvormittag seine Hauptstadt, wo er von deutschen Soldaten begrüßt wurde. Unmittelbar nach seiner Ankunft berief er eine Kronratssitzung ein und schilderte der Ministerrunde die Ereignisse des Vortags. Der Einladung Hitlers sei er nur gefolgt, so Horthy, da er befürchtete, dass ansonsten die eigenen Truppen nicht aus dem Osten hätten zurückkommen können. Eine von Hitler geforderte Einverständniserklärung zur deutschen Besetzung des Landes habe er nicht unterschrieben, führte Horthy aus. Döme Sztójay, ungarischer Botschafter in Berlin und Mitglied der Delegation des Reichsverwesers in Kleßheim, berichtete von seinem Gespräch mit Reichsaußenminister Ribbentrop, der ihm gegenüber ebenfalls Vorwürfe gemacht habe, dass im Hinblick auf die Judenfrage nichts geschehen sei...
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